Towards a European Theory of Justice and Fairness

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Benachteiligung und Umverteilungsansprüche in Österreich: gesetzliche Mindestlöhne und Verteilungsgerechtigkeit

Der vorliegende Beitrag, der Teil einer Reihe von Blogs ist, in denen länderspezifische Forschungsarbeiten erläutert werden, beschäftigt sich mit der Nichtrealisierung bzw. der eingeschränkten Realisierung von Verteilungsgerechtigkeit in Österreich, Ungarn, den Niederlanden, Portugal, Türkei und dem Vereinigten Königreich.

Die vom österreichischen Team durchgeführte Studie beschäftigt sich mit der Verteilung von Löhnen zwischen Arbeitsmarktsektoren. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den über die Jahre gewachsenen Niedriglohnsektor sowie die in ihm vorherrschenden Arbeitsbedingungen gelegt. Konkret soll untersucht werden, welche gesellschaftlichen Gruppen im Niedriglohnsektor überrepräsentiert sind und ob ein universeller Mindestlohn zur Förderung von Verteilungsgerechtigkeit beitragen kann. Der Niedriglohnsektor steht in engem Zusammenhang mit schlechten Arbeitsbedingungen, welche vor allem durch mangelnde Zeitautonomie, fehlende Mitbestimmungsrechte der ArbeitnehmerInnen sowie Arbeitsplatzunsicherheit gekennzeichnet sind. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde ein menschenrechtlicher Ansatz gewählt, um die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit und seiner Elemente im Niedriglohnsektor zu bewerten.

Die Ergebnisse des österreichischen Berichts stammen zum einen aus Fachliteraturrecherche und zum anderen aus leitfadengestützten Interviews mit verschiedenen ExpertInnen auf diesem Gebiet. Zum Niedriglohnsektor zählen nach der gängigsten Definition jene Arbeitnehmer, die monatlich maximal zwei Drittel des durchschnittlichen Medianeinkommens verdienen. Die Fachliteraturrecherche führte jedoch zu unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Ergebnissen über Größe und Entwicklung des Niedriglohnsektors. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass Frauen überproportional häufig im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Innerhalb der Europäischen Union gehört Österreich zu jenen Ländern mit dem ungerechtesten Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern. Neben Frauen sind auch Jugendliche unter 25 Jahren sowie Personen mit geringer Qualifikation im Niedriglohnsektor überrepräsentiert.

In Österreich sind es vor allem Frauen, die in personenbezogenen Dienstleistungen wie Reinigung, Gastronomie und Pflege arbeiten. Diese Berufsfelder sind in der Regel weniger angesehen als die von Männern dominierten Berufsfelder wie beispielsweise die Produktion. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Frauen diese Art von Arbeit ohnehin unbezahlt für ihre Familien im privaten Haushalt leisten. Nach Ansicht von ExpertInnen handelt es sich dabei um einen der Faktoren, die zu der Schwierigkeit führen, faire Bewertungs- und Beschäftigungsbedingungen für Frauen zu erreichen.

Im Zusammenhang mit Verteilungsgerechtigkeit am stärksten benachteiligt sind jedoch Migrantinnen, insbesondere wenn sie nicht gut Deutsch sprechen. Sie dominieren in Berufen mit sehr schlechter Bezahlung und prekären Arbeitsverhältnissen, wie beispielsweise im Reinigungssektor. Da viele Migrantinnen zusätzlich mit Barrieren bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen aus ihren Herkunftsländern zu kämpfen haben, sind sie oftmals gezwungen, eine niedrig qualifizierte und schlecht bezahlte Beschäftigung aufzunehmen. Außerdem sind sie weniger über die Rechte und Ansprüche von ArbeitnehmerInnen informiert, weshalb es auch strukturelle Hindernisse bei ihrer Vertretung in Arbeitnehmerschutzorganisationen gibt. Zusätzlich geschwächt wird die Position von Drittstaatsangehörigen, bei denen die Aufenthaltsgenehmigung an die Arbeitserlaubnis geknüpft ist.

Am unattraktivsten innerhalb des von Frauen dominierten Niedriglohnsektors gilt die Beschäftigung in der Reinigung. Neben niedrigen Löhnen werden Frauen mit prekären Arbeitsbedingungen und mangelnder Zeitautonomie sowie wenig oder gar keinen Aussichten auf Beförderung konfrontiert. Während in einigen männerdominierten Sektoren eine schwere, belastende Arbeit geschätzt und durch Zuschläge kompensiert wird, ist dies in dem von Frauen dominierten Niedriglohnsektor oft nicht der Fall. Während zum Beispiel Metallarbeiter Zuschläge erhalten, erhalten Pflegekräfte, die körperlich und geistig anspruchsvolle Arbeit leisten, keine Vergütung durch höhere Löhne. In der Kinderbetreuung müssen ArbeitnehmerInnen beispielsweise einen hohen Lärmpegel aushalten und tragen eine große Verantwortung. Diese Aspekte werden jedoch bei den Löhnen nicht berücksichtigt, was zu großen Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt führt.

Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zeigen aber auch, dass ArbeitnehmerInnen im Niedriglohnsektor ihre Einkünfte im Vergleich zum Hochlohnsektor nicht als ungerecht wahrnehmen. Es scheint vielmehr, dass Ungerechtigkeitsgefühle nur im direkten Vergleich mit Löhnen von MitarbeiterInnen desselben Unternehmens entstehen.

Bevor wir auf die Frage eingehen, ob die Einführung eines universellen Mindestlohns zu mehr Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung führt, sollte festgehalten werden, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten bereits einen allgemeinen Mindestlohn eingeführt haben. Österreich, ein Land in dem Kollektivverträge schon immer eine wichtige Rolle spielen, führte eine sektorale Regelung ein, die Mindestlöhne für die Mehrheit der Wirtschaftssektoren vorsieht. Je nach Sektor variieren diese Mindestlöhne bis zu einem gewissen Grad. Es wurden jedoch bereits Initiativen zur Einführung eines universellen Mindestlohns bis 2020 ergriffen. Die für die vorliegende Arbeit befragten ExpertInnen argumentierten, dass ein universeller Mindestlohn nur als eines von vielen möglichen Instrumenten zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt angesehen werden kann. Löhne können von vielen anderen Faktoren (z.B. Zuschläge für Schwerarbeit) beeinflusst werden, die ein universeller Mindestlohn allein nicht ausgleichen kann. Die ExpertInnen plädieren daher für eine Kombination von Kollektivverträgen, Lohntransparenz und Mindestlöhnen, um so die Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu fördern.


By Veronika Apostolovski and Isabella Meier
written for the ETHOS Project as Working Paper within D6.2
The cross country study is available at: https://ethos-europe.eu/publications

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